Umnutzung Schlachthof, Lugano

STÄDTEBAULICHES KONZEPT
Das ursprünglich am Stadtrand gelegene Schlachthof-Areal hat bis heute seine städtebaulich autonome Setzung im Stadtgefüge beibehalten. Begrenzt durch eine umlaufende Mauer mit klar geregelten Zugängen blieb das Industrieareal ein Fremdkörper in der neueren Umgebung mit seinen Büro-, Wohn- und Schulbauten.
Die Neukonzeption nutzt das Potential, das Areal für die Umgebung zugänglich und durchlässig zu machen, ohne das historische Ensemble - mit seiner parallelen Ausrichtung aller Gebäudeteile auf die Schlachthallen im Zentrum - in seinem konsequenten Selbstbezug zu schwächen.
Das Projekt "Girandola" greift diesen inneren Bezug auf: Im Zentrum steht die umfunktionierte 5-schiffige Schlachthalle. Ihre einprägsame räumliche Struktur bildet den Ausgangpunkt für den Neubau an der Südkante des Areals: Das Hallenvolumen wird gedanklich um 90° gedreht und seine Schauseite auf den Innenhof zu den Schlachthallen hin ausgerichtet. Nach dem Zuschnitt des Volumens auf die Parzellengrenze werden die wegfallenden Flächen durch die Höhenmodulation der Gaden kompensiert. Ein einprägsames Volumen mit seiner Höhenstaffelung ist das Ergebnis, das zwischen historischem Bestand und Stadtgefüge vermittelt.

FUNKTIONSVERTEILUNG / NUTZUNGSVERTEILUNG
Eine breite Nutzungsverteilung über alle Gebäude belebt das Areal auch in Randzeiten.
Die Eventhallen sind wie bereits in der Projektstudie in den Schachthallen und der "Tripperia" untergebracht. Im Mittelschiff der Schlachthallen befinden sich zudem das "LiteraturCafé" und die auf der neu eingefügten Tribüne angeordneten WC-Anlagen. So bleiben Teile der Schlachthallen auch ausserhalb von Eventnutzungen zugänglich und erlebbar.
In den ehemaligen Stallungen auf der Westseite ist das Restaurant auf zwei Geschossen angeordnet: Im Erdgeschoss bietet es einen Aussenraum zum Park, im Obergeschoss die Möglichkeit, Bankette oder geschlossene Gesellschaften zu empfangen. Die Flächen für kulturelle Freizeit- & kommerzielle Aktivitäten sind über die Bestandesbauten verteilt und bieten unterschiedlich grosse und zusammenschliessbare Flächen mit grosser Vielfalt. Coworking & costudying werden sowohl in den Mantelgebäuden mit ihrer räumlichen Vielfalt als auch im Neubau angeordnet.
Dem Neubau vorbehalten bleiben die studentischen/ universitären Unterkünfte und die administrativen Nutzungen.

NEUBAU
Das Erdgeschoss des Neubaus besteht aus einer Abfolge von "fixen" und "flexiblen" Nutzungen: Im ersten Abschnitt befinden sich auf zwei Geschossen die Coworking – Costudyingbereiche, mit den zuschaltbaren Sälen der studentischen Vereine. Daran anschliessend folgt die erste flexibel bespielbare "Halle", die ebenfalls zur Gebäudedurchwegung dient. Eine leicht verschiebbare Möblierung und flexible Raumtrenner / Vorhänge können je nach Raumbespielung auf unterschiedliche Nutzungen reagieren.
Als nächste fixe Nutzung folgen die Flächen für die administrativen Nutzungen. Ihr angelagert ist eine Ausstellunghalle als flexibler Bereich mit touristischen Informationen zum Areal. Diese "Halle" dient ebenfalls zur Erschliessung der Wohnungen und der Durchwegung des Areals. Der Abschluss bildet die Lagerfläche/ Veloraum auf Erdgeschossniveau für die darüber liegenden Wohnungen.
Über zwei Treppenanlagen gelangt man in die vier Obergeschosse für studentisches Wohnen. Die ersten beiden Geschosse sind als Grossform organisiert und bieten die Möglichkeit für Grosswohngemeinschaften oder auch Guest-house-Betrieb. Grosse Gemeinschaftszonen sind zentral angeordnet und durch das Atrium visuell verbunden.
Die Obergeschosse 3 und 4 sind als 3 kleinere Einheiten organisiert. Der Zwischenraum zwischen den Gebädekörpern ist als Dachterrasse zur gemeinsamen Nutzung angedacht und erweitert das Aussenangebot der Zimmer nebst dem halbprivaten Laubengang um einen grosszügigen kommunalen Bereich. Auf ihn Ausgerichtet sind jeweils Küchen und Aufenthaltsräume.

UMGANG MIT DEM BESTAND / EINGRIFFE IM BESTAND
Die Richtlinien der Denkmalpflege dienen als Leitfaden für die Renovation der Bestandsbauten.
Die bestehende Bausubstanz wird instand gesetzt ohne dabei die historische "Patina" zugunsten einer "schönen neuen Erscheinung" zu zerstören. Anpassungen am Bestand aufgrund der neuen Nutzungsanforderungen werden nicht kaschiert, sondern klar gezeigt. Mauerausbrüche und neue Einbauten sprechen die konstruktive Sprache der heutigen Zeit und zeigen konsequent die Spuren der Adaption.
Durch die lange Gebrauchsdauer des Schlachthofs mit unzähligen Anpassungen ist bei den Eingriffen abzuwägen, welcher Zustand für den Ausgangspunkt des Erhalts beigezogen wird. Ganz im Sinne eines Industriebaus sind flexible Anpassungen an jetzige und zukünftige Nutzungen von grundlegender Bedeutung für die weitere Existenz der Gebäude. Ohne Modifikation würde der Schlachthof für kommende Generationen zum reinen Denkmal ohne Gebrauchswert verkommen. Andererseits soll er als Erinnerungsträger für die Bevölkerung erhalten und erkennbar bleiben. Bei allen Massnahmen gilt abzuwägen, in wieweit die einzelnen Eingriffe diesen kollektiven Erinnerungsträger zerstören oder in einen neuen Erinnerungsträger zu transformieren vermögen.

Art Projektwettbewerb
Bauherr Commune di Lugano
Projektteam rogerhuwyler architekten,
veronika bonora
Planung 10/2019 - 02/2020